Kim

Aufgrund der angespannten politischen Lage an anderen Weltenden schien es an der Zeit, eine etwas ältere Erzählung (ca. 2008) samt Bildwitz noch einmal hervorzukramen:

Kim

car_nordkoreaAn diesem Sonntagmorgen, es war gerade mal 17.30, saß ich verkatert im Eiscasal Mussolini, und war gerade damit beschäftigt, meinem Pinocchio-Becher das linke Auge auszustochern – als plötzlich ein bizarrer Zwerg das Café betrat, der sich einen mehrfach isolierten Doppelfensterrahmen vors Gesicht gebunden hatte.

Er war für einen Zwerg ungewöhnlich groß, 2,23 m nämlich, was aber nur an seinen Buffalo Boots aus geräucherter Yakvorhaut lag, und dem, was er auf dem Kopf trug: eine Tsunamiwelle oder ein Waschbär vielleicht. Aus denen bei genauerem Hinsehen jedoch eine Frisur entstand. Aus dem Doppelfensterrahmen wurde eine übergroße Brille. Und aus dem bizarren Zwerg in summa: Kim Jong-Il.

Der Großteil der Gäste ergriff sofort die Flucht, nur ich war immer noch so sehr damit beschäftigt, Pinocchio auf dem Teller vor mir eine Gesichts-OP zu verpassen, dass ich nicht rechtzeitig reagierte. Kim zog jetzt eine kleine Trillerpfeife aus der Brusttasche seines sozialismusgrauen Trainingsanzugs und prustete hinein, woraufhin der Kellner Benito, der das Spiel offensichtlich schon kannte, einen Kinderhochsitz an meinen Tisch schob und den Monstergnom mit einem Schwung hineinlüpfte. Mit dünnem Stimmchen bestellte Kim einen Fürst-Hitler-Eisbecher mit allem; plus einer Extraportion Atomschlagsahne und einem Schuss Agent Orange. Dann lächelte er traurig und beschlitzäugte mich durch die Klobrillen-Gläser seiner Sehhilfe. Offensichtlich wollte er ein Gespräch anknüpfen. Ich beschloss, nicht nur den verbalen First Strike zu wagen, sondern gleich richtig zur Sache zu kommen.

»Sach ma, Kim«, sagte ich, »man hört, du hättest jetzt die Bombe. Muss das sein?«

»Ach, weißt du«, fistelte Kim zurück, »den ganzen Tag nur die glücklichen Gesichter der Menschen, die in meinem Paradies leben, und zwischendrin barbarische Bacchanale mit balinesischen Bardamen und barbusigen Basler Backfischen, das macht auf Dauer auch nicht satt. Vor allem nicht mein Volk«, ergänzte Kim.

Ich nickte verständnisvoll, während ich versuchte, Pinocchio durch seine eigene Nase das Gehirn auszusaugen. Benito stellte einen dampfenden Eiskelch vor Klimbim Jong-Il auf den Tisch.

»Es ist ja auch eher ein sprachliches Problem«, fuhr er jetzt fort, »Sexbomben und Atombusen kann ich jeden Tag haben. Busensex auch. Blieb als letzte Kombinationsmöglichkeit der vier Wörter nur noch ›Atombombe‹ übrig. Ein Chemiebaukasten für die 7. Klasse ist übrigens auch schon alles, was man braucht, um sein Land zu pimpem«, sagte Kill Bill Jong-Il, und ich meinte, ein wenig Stolz in seiner Stimme zu hören.

»Leider geil«, sagte ich, um ihn nicht zu unnötig zu reizen. »Und was machst du jetzt mit dem Ding?«

»Schwierig. Mein Militär hat zur Zeit nur polnische Silvesterraketen aus dem Winterschlussverkauf 2009. Ich müsste die Bombe schon mit der Post schicken oder halt persönlich vorbeibringen.«

Duke Nukim Jong-Il seufzte und schob sich dann eine glasierte Klitoris in den Mund. Während er krachend kaute, versuchte ich, ihn unter dem Tisch zu treten, aber seine Eier waren zu weit oben.

»Und das Ausland ist auch nicht gut auf mich zu sprechen«, fuhr er dann fort. »Der Schorschbush hat sogar schon gedroht, meinem Land den Seehandelsweg zu sperren. Jo mei.« Er zuckte mit den Schultern, dass die Epauletten klingelten. »Aus dem Meer holen wir sowieso nur Feuerquallen und Industrieabfälle. Und den Urlaub verbringe ich auch nicht am Strand, sondern in meiner Neuschwanstein-Kopie aus Rohrzucker, wo ich auf Rohdiamanten schlafen und auf einer Diät von kandierten Stiernippeln ausharren muss. Der Rest des Landes hat eh keine Freizeit.«

»Aber ich dachte«, warf ich ein, »dass bei euch alle gleich sind –«

»Sind auch alle gleich«, sagte er. »Alle gleich arm und alle gleich hungrig. Aber sei unbesorgt: Wenn Pjöngjang hungert, hungere ich mit: Wenn zwischen drittem Frühstück und ersten Mittagessen mal keine Kindertränen in Aspik mehr da sind, beiße auch ich mal – in den sauren Apfel.« Kim lachte wiehernd über sein schlechtes Wortspiel, und ich flüsterte etwas wie »Fetter Spukvampir«, was sich aber anhörte wie »Netter Zug von dir«.

Kims angelte mit seinem Löffel am Boden seines Eisbechers nach der letzten verbliebenen Klitoris, schnäuzte sich dann ausgiebig in den Ärmel seines Einheits-Anzugs von Armani und meinte nur noch träumerisch: »Ich weiß auch nicht, warum mich die Leute so lieben. Wahrscheinlich, weil sie dazu gezwungen werden.« Auch ich hatte Pinocchio inzwischen soweit lobotomiert, dass von ihm nur ein blaues Smartie geblieben war, dass mich vom Grund meines Tellers schuldig anstarrte.

Als Lil’Kim sich mit den Worten »Ich muss mal Uran lassen« auf die Toilette tragen ließ, nutzte ich die Gelegenheit, um schnell das Weite zu suchen.

Um das Eiscasal Mussolini aber mache ich seither sonntagmorgens einen weitern Bogen.