Neulich las ich Jochen Hörischs Theorie-Apotheke (die 2004 zum ersten Mal erschien) noch einmal quer. Schon Johan Schloemann stellte damals in der SZ fest, dass Hörisch in seiner Apotheke mitunter “lästige[] Sprachakrobatik” betreibe.
Hörischs Vorliebe für ähnlich anlautende Wörter oder Begriffe mit dem gleichen Wortstamm, die er gerne in nächster Nähe positioniert (als stelle sich dadurch schon ein Sinn ein), hat mich beim Wiederlesen nicht einmal so sehr gestört; zumal der Autor immer wieder hübsche Funde macht (so ist einmal im Bezug auf Theorien von “Mega- und Metametaphern” die Rede).
Was in der Theorie-Apotheke aber wirklich lästig fällt, ist eine Art von sprachlicher (und das meint immer: gedanklicher) Schlampigkeit, die ich – weil mir gerade nix Besseres einfällt – als “professoral” bezeichnen will. Erkennbar hat Hörisch seine (durchaus beachtlichen) Lese- und Bildungsfrüchte in die verschiedenen Kapitel gekippt, ohne sich zu viele Gedanken darüber zu machen, ob ein Zweitleser mit den dicken Namen und Termini, die nicht weiter erläutert werden, viel anfangen kann. Gerade für einen Anfänger sind einige Kapitel des Buchs damit ungenießbar; zumal Hörisch die lästige Angewohnheit hat, seine Assoziationen immer an denjenigen Stellen im Text zu platzieren, an denen sie ihm beim Schreiben eingefallen sein müssen. Und nicht etwa dort, wo sie der Logik des Aufbaus nach hingehören.
Das grundlegende Problem bei dieser Art von gelehrter Prosa scheint mir zu sein, dass Akademiker ab einem gewissen Status (oder ab einer gewissen Zeitnot) dazu übergehen, ihre Texte nicht so gründlich zu überarbeiten, wie es die Leserin verdiente. Ob dieser Fehler im System oder in der jeweiligen Person zu suchen ist, mag ich nicht beurteilen; Fakt ist nur, dass ich ihn in der akademisch geprägten Publikationslandschaft immer wieder beobachten muss.
Doch noch mal zur Theorie-Apotheke: Beim Wiederlesen machte mir besonders das Kapitel zu den Bildwissenschaften Freude: Es enthält einen recht langen (nicht ganz fehlerfreien) Satz mit zahlreichen Beispielfragen, der unten wiedergegeben ist (in der Taschenbuchausgabe findet er sich auf S. 165).
Wer so viele Fragen stellt, hat Antworten verdient. Die bekommt Hörisch an dieser Stelle sehr gerne und gratis von mir.
Und zwar nach einem Verfahren, das wir Karl Kraus und Hermann L. Gremliza verdanken: Hörischs Zitat steht in normaler Schriftart, während ich in Courier New dazwischenplappere. Bitte schön.
Hörisch: Einen iconic turn vollzieht, wer die Naivität hinter sich läßt, einfach nur zu sehen, um statt dessen analytische Fragen wie diese zu stellen: Wie ist dieses Bild gerahmt,
Eckig, wieso? Wollen Sie’s kaufen? Acht Mark okay?
in welcher Perspektive wird der Parteitagsredner gefilmt,
Aus dem Knopfloch heraus. Wir nennen es bürgernah.
sind Brot und Wein auf diesem Stilleben Anspielungen auf die Eucharistie,
Ja. Oder Anspielungen auf Brot und Wein.
warum lächelt dieser Totenkopf,
Wer kein Gehirn hat, hat gut lachen.
was allegorisieren Kirche und Schloß im berühmten Titelkupfer von Hobbes’ Leviathan,
Kirche = Kirche. Schloss = Staat. Das hätten sie aber auch selber hingekriegt, oder? Zusammenhangslos fällt mir – nach der Methode Hörisch – gerade ein, dass Robert Gernhardt mal geschrieben hat: “Bilder Sie mal einen Satz mit allegorisch. // Nichts wird sich ändern hier auf Erden, / bevor nicht alle gorisch werden.” Gar nicht mal so gut, oder?
an welche Bildtradition knüpft das Stalin-Portrait an,
An die des Portraits.
warum gilt das Urinoir von Duchamps als Kunstwerk,
Der Mann hieß Duchamp (ohne s). Hinterlassen hat er uns – zumindest auf Deutsch – wahlweise ein Urinal oder Pissoir, kein Urinoir. Warum es als Kunstwerk gilt, hat nichts mit dem iconic turn zu tun, um den es in diesem Satz angeblich geht.
warum ist auf dem schwarzen Quadrat von Malewitsch tatsächlich nichts zu sehen außer tiefschwarzer Farbe,
Wer das Bild tatsächlich kennst oder sich bei Google tatsächlich noch mal anschaut, weiß, dass um das schwarze Quadrat tatsächlich ein tatsächlich ziemlich breiter weißer Rand verläuft. Tatsächlich. Auch dazu gibt es übrigens was von Gernhardt: “Malewitsch führt vor, was dann ensteht, / wenn einer, der ankommt, noch weitergeht. / Ach Malewitsch.” (Aus: Nachdem er die Kölner Malewitsch-Ausstellung gesehen hatte)
welche Signale gehen vom Design der neuen Luxuslimousine aus,
Wenn rhythmische Lichtsignale vom Design ausgehen, heißt das, dass der Fahrer abbiegen will.
was soll die nackte Frau und die schlangenförmige Gestaltung des Glases auf der Bierreklame,
Eine Gestaltung kann nicht schlangenförmig sein, höchstens das Glas selbst. Außerdem muss das Verb “soll” hier (nach Adam Duden) im Plural stehen. Die Antwort auf Ihre Frage lautet übrigens: Bier verkaufen.
wie wirken dieselben Bilder von den zusammenbrechenden Twin Towers auf Zwanzigjährige in New York, Paris, Neu-Delhi, Kabul und Bagdad?
Ich hab alle Zwanzigjährigen gefragt. Sie sagen einstimmig: Krasser Scheiß, voll uncool. Krieg ich jetzt meinen Schein?